Interview-Reihe zur Honorarberatung mit Anja Glorius
„Ein guter Vermittler ist nicht zwingend ein guter Unternehmer“
In unserer Interview-Reihe „Mit Vision – Über die Lage der Honorarberatung “ kommen Stimmen aus der Theorie und Praxis zu Wort, die sich kritisch mit der Beratung und Vermittlung gegen Entgelt auseinandersetzen, dabei Denkanstöße platzieren und die Folgen, Risiken und Chancen der Honorarberatung skizzieren.
Von persönlich bis rechtlich, von meinungsstark bis hin zu konkreten Ideen und Maßnahmen geben die Interviewpartner:innen und Expert:innen aus der Branche Antworten auf die drängendsten Fragen rund um die Honorarberatung – mal gewagt, meist genau auf den Punkt und in jedem Fall augenöffnend!
Interviewpartnerin der heutigen Stunde ist Anja Glorius, Fachwirtin für Versicherungen und Finanzen und seit 10 Jahren Geschäftsführerin des renommierten Maklerunternehmens KVoptimal.de GmbH.
Wofür gibst du gern Geld aus?
Für allen möglichen Unsinn vermutlich. In jedem Fall achten wir vor allem bei Lebensmitteln und Essen wenig auf Ausgaben. Als mein Mann vor neun Jahren aus dem Studium kam, war das einer seiner ersten Wünsche: „Beim Essen nicht mehr aufs Geld achten zu müssen“.
Wenn du dich in die Rolle des Endkunden versetzt: Was bevorzugst du, die Provisions- oder die Honorarberatung?
Die Honorarberatung. Kunden wählen bei uns die Honorarberatung, um sicher zu sein, dass wir ohne Interessen am finanziellen Fluss beraten. Natürlich beraten wir so oder so frei von wirtschaftlichen Ergebnissen und sind unabhängig, aber für den Kunden ist es aus seiner Sicht mit einem Honorar sicherer.
„Man sieht im Vergleich mit anderen Ländern, dass eine ausschließliche Honorarberatung einkommensschwache Bürger:innen von der Beratung abschneidet“
Wenn man nachweislich als Versicherungsmakler:in auch Honorare in Rechnungen stellen darf (Grundsatz der Privatautonomie), steht im Vordergrund, dass der bzw. die Kund:in keinen Anlass hat, später zu sagen „Wenn ich das gewusst hätte, dann wäre ich damit nicht einverstanden gewesen”. Wie kann man diesen Sachverhalt in der Praxis am besten angehen?
Für uns ist Klarheit und Transparenz wichtig, frei nach dem Motto „Weil einfach einfach einfach ist“. Wir habe ein klares Leistungsportfolio für unsere Leistungsbereiche. Unsere Kunden erhalten dieses vorab und wissen immer ganz konkret, was sie von unseren Mitarbeitenden erwarten dürfen.
Ein oft angebrachtes Argument von Vermittler:innen lautet: „Ich kann und werde die Transformation zur Honorarberatung aufgrund meiner bestehenden Mandate und den damit verbundenen Bestandscourtagen nicht umsetzen können, weil ich dann die Bestandscourtagen nicht mehr verdienen darf“. Welche Meinung vertrittst du diesbezüglich?
Halte ich als Nicht-Juristin für Unsinn. Wir leben es in der Praxis seit zehn Jahren erfolgreich. Die originären Makleraufgaben bei Bruttoprodukten erledigen wir entsprechend. Benötigt der Kunde drumherum Dienstleistung, zahlt er dafür.
Ein Gegenargument der Honorarberatung ist häufig, dass sie sich nur wohlhabende Personen leisten können und Personengruppen mit geringem Einkommen keinen Zugang zu dieser Dienstleistung haben. Stimmt das in deinen Augen?
Man sieht im Vergleich mit anderen Ländern, dass eine ausschließliche Honorarberatung einkommensschwache Bürger:innen von der Beratung abschneidet. Durch technologischen Fortschritt rechnen wir in den kommenden Jahren aber mehr denn je damit, dass Kund:innen einfache Versicherungen von großen Playern am Markt erhalten werden und so vermutlich von uns als Versicherungsmakler:innen eher spezielle Policen bekommen werden – sprich spezielle Beratung vom Profi für die relevanten Themen wie Altersvorsorge, Arbeitskraftabsicherung und PKV. Diese Bereiche tangieren mehr denn je einkommensstarke Familien, die sich ein entsprechendes Honorar leisten können und heute teilweise schon wollen.
Es scheint nämlich unbestritten zu sein, dass der Mittelstandsbauch verschwindet und die Einkommensverteilung mehr denn je einer Sanduhr gleicht. Durch Vermittler-Vergreisung werden sich die verbleibenden Vermittler:innen am Ende den oberen Einkommensbereich mit starken Einkommen aufteilen. Heute hat einkommensschwach zu sein aber auch oft mit Bildung zu tun und wir erleben, dass die einkommensschwache Gruppe schon heute nur Geld für die existenziellen Policen wie KFZ, PHV und vielleicht noch eine kleine Zusatzversicherung hat. In diesen Einkommensbereichen gibt es heute schon wenig Geld für Altersvorsorge und Arbeitskraftabsicherung.
„Derzeit buhlen alle um die Gunst der Besserverdienenden“
Inwiefern könnte die unternehmerische Freiheit und Verantwortung jedes einzelnen Vermittlers auch dazu führen, dass es Beratungskonzepte gegen Honorar für Personengruppen mit geringem Einkommen gibt? Würde eine Spezialisierung von Vermittler:innen / Berater:innen auf die Belange von Personengruppen mit geringem Einkommen Sinn machen?
Derzeit buhlen alle um die Gunst der Besserverdienenden. Der eine fischt bei Anwärtern und Studenten, um sich die künftig hohe Einkommensklasse zu sichern, der andere steigt direkt mit dem Unternehmer oder Angestellten über JAEG ein. Auch für Vermittler:innen kann es sinnvoll sein, eine ganz andere Marktposition einzunehmen und durch standardisierte und automatisierte Prozesse vermeintlich kleine Einkommensgruppen zu gewinnen und damit Umsatz zu generieren. Man kann Beratungen bündeln oder sie mit technischen Mitteln als Kurs aufzeichnen und freigeben. Letztlich sind die Möglichkeiten unbegrenzt, wenn man nur will.
Was zeichnet eine gute Honorarberatung aus?
Sie muss so gut es geht individuell auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sein. Schwarze Schafe gibt es in jeder Branche, daran wird auch die reine Honorarberatung nichts ändern. Für uns heißt eine gute Honorarberatung, dass sie nicht uns finanziellen Nutzen stiftet, sondern so klar formuliert ist, dass der Kunde entscheiden kann, ob sie ihm etwas bringt oder er sich jemand anderen suchen muss.
Mal ganz provokant gefragt: Enthält in deinen Augen die Aussage, dass wir in der Branche nicht den „Arsch in der Hose“ haben, den Kund:innen klar zu sagen, was wir kosten und was unsere Dienstleistung wert ist, einen wahren Kern?
Ja, wenn ich selbst nicht weiß, wo ich mich klar von meinem Wettbewerb abgrenze und weiß, was mein Wissen für den Kunden Wert ist, habe ich als Vermittler:in auch Schwierigkeiten, meinen Wert zu beziffern.
Warum arbeiten nahezu alle Gewerbe und Dienstleistungen (Handwerker:innen, Steuerberater:innen, Coaches, etc.) auf Rechnung – nur die Versicherungsbranche nicht?
Altgewachsene Konstrukte ändert man eben nicht. Wozu auch? Sie funktionierten und funktionieren mehr denn je. Der Mensch mag eben keine Veränderung. Die Frage ist doch: Wäre es wirklich nötig, politisch in den Markt einzugreifen? Für beide Positionen lassen sich Vor- und Nachteile finden.
Wie sollten sich Vermittler:innen / Berater:innen digital bei Prozessen, Tools und bezüglich der Präsenz in sozialen Medien aufstellen?
Das ist ganz individuell. Ich kenne Vermittler:innen, die überlegen sich, in den sozialen Medien aktiv zu sein, einfach weil es viele tun. Das ist doch totaler Unsinn. Wenn ich meinen Zugang über Empfehlungen erfolgreich umsetze, muss ich das Rad doch gar nicht neu erfinden. Etwas zu tun, nur weil es alle tun, hilft niemandem. Weder dem Vermittler noch dem Kunden.
„Unsere Branche muss sich vom Verkaufsschlager
‚Der Vorvermittler hat Mist gemacht‘ trennen“
Als Vorteil der Honorarberatung wird immer wieder das Thema der Stornofreiheit genannt. Siehst du dies auch so oder geht es letztendlich um andere Vorteile der Honorarberatung?
Das ist aus meiner Sicht zweitrangig. Mit Stornierungen hatten wir noch nie Schwierigkeiten. Wenn die Beratung für Kund:innen wertvoll ist und die Lösungen zu ihnen passen, werden sie sie auch nicht wegen des Wettbewerbs stornieren. Unsere Branche muss sich im Kern am meisten vom Verkaufsschlager „Der Vorvermittler hat Mist gemacht“ trennen. Der Verkauf von Produkten auf der Grundlage den Vormakler schlecht zu machen, ist einer der Haupttreiber, warum unsere Branche so in Verruf geraten ist.
Ein Argument für „hohe“ Courtagen lautet: Die Vermittlerschaft in der Masse benötigt die hohen Abschlusscourtagen, da sie im Schnitt im Verhältnis zum Aufwand und der Haftung wenig verdienen. Provokant gefragt: Wenn mein Einkommen nur an den Erfolg der Vermittlung geknüpft ist bzw. ich nur Geld erhalte, wenn ich vermittle und ich nicht für die Stunde Arbeit, in der ich Mehrwerte schaffe, vergütet werde, ist das Bezahlungssystem dann überhaupt das richtige?
Aus unserer Sicht ist die Aussage für den Start in die Vermittlerschaft schon korrekt, denn aller Anfang ist schwer und dauert in unserer Branche recht lange. Viele täten gut daran, sich eher Unternehmen mit Lösungen anzuschließen und sich selbst mit ihrem Können auf den Prüfstand zu stellen. Ein guter Vermittler ist nicht zwingend ein guter Unternehmer. Viele merken viel zu spät, wo Ihre Schwächen liegen und erkennen nicht, dass es auch unüberwindbare Hürden gibt. Es würde auch helfen, die Zeichnung von vertrieblichen Werten wie „Porsche, Partys, Provisionen“ nicht so zu forcieren, sondern sich auch hier eher im Bereich der Kammerberufe seriös zu positionieren.
Diese Reihe „Mit Vision – Über die Lage der Honorarberatung“ beantwortet alle Fragen rund um das Thema Beratung und Vermittlung gegen Entgelt. Weder Schubladendenken noch Standardantworten sind in dieser Interview-Reihe erlaubt. Ganz im Gegenteil: Die Chancen und Risiken der Honorarberatung realistisch und ehrlich zu beschreiben, ist das Ziel jedes Experten-Interviews.
Über die Autoren:
Stephan Busch ist Versicherungsmakler und Inhaber von PROGRESS Finanzplaner.
Tim Schreitmüller ist digitaler Stratege mit Versicherungs-Know-how von der LV 1871.
Über die Interviewpartnerin:
Anja Glorius ist Fachwirtin für Versicherungen und Finanzen und seit 10 Jahren Geschäftsführerin des renommierten Maklerunternehmens KVoptimal.de GmbH. Dass gute Beratung ein Honorar wert ist, weiß Anja schon seit Tag 1 und setzt dies erfolgreich um.