Norman Wirth in der Interview-Reihe zur Honorarberatung
„Darin sehe ich die Zukunft“
In unserer brandneuen Interview-Reihe „Mit Vision – Über die Lage der Honorarberatung “ kommen Stimmen aus der Theorie und Praxis zu Wort, die sich kritisch mit der Beratung und Vermittlung gegen Entgelt auseinandersetzen, dabei Denkanstöße platzieren und die Folgen, Risiken und Chancen der Honorarberatung skizzieren. Heute sprechen wir mit dem Rechtsanwalt Norman Wirth. Er ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und war schon mehrfach als Sachverständiger im Deutschen Bundestag zu Branchenthemen geladen.
Von persönlich bis rechtlich, von meinungsstark bis hin zu konkreten Ideen und Maßnahmen geben die Interviewpartner und Experten aus der Branche Antworten auf die drängendsten Fragen rund um die Honorarberatung – mal gewagt, meist genau auf den Punkt und in jedem Fall augenöffnend!
Wann hast du zuletzt etwas zum ersten Mal gemacht?
Es wäre fast ein Bungee-Sprung vom Hochhaus am Alexanderplatz in Berlin gewesen. Aber letztlich habe ich doch meiner 18-jährigen Tochter den Vortritt gelassen. Zuschauen hat mir dann völlig gereicht. Dafür wurde es dann bei mir vor kurzem ein Tandem-Fallschirmsprung – das war mega!
Wenn du dich in die Rolle des Endkunden versetzt: Was bevorzugst du, die Provisions- oder die Honorarberatung?
Ich bin ja auch Endkunde. Sicherlich auch ein sehr interessanter, da ich wirklich für nahezu alles eine passende Versicherung habe. Ich persönlich bevorzuge das Provisionssystem. Aber auch bei Honorar bin ich ansprechbar; im Prinzip bin ich ganz flexibel und definitiv nicht dogmatisch.
„Diese aufgeladene Diskussion bei dem Thema Honorar versus Provision ist doch völlig kontraproduktiv“
Was wird deiner Meinung nach in den nächsten fünf Jahren zum Thema Vergütung auf die Versicherungsbranche zukommen?
Wir werden dauerhaft das Thema Provisionsdeckel bzw. Provisionsverbot auf dem Tisch haben. Die Diskussion zum Verbot wird über Brüssel geführt. Die Diskussion zum Deckel – oder neuerdings von der BaFin auch Provisionsrichtwert genannt – läuft in Deutschland. Getrieben wird sie von der BaFin, vermeintlichen Verbraucherschützern und irritierender Weise auch von Branchenteilnehmern, die meinen, damit den Pools, Vertrieben oder insgesamt dem Maklermarkt schaden zu können. Letzteres finde ich besonders ärgerlich. Zudem wird auch gerade wieder die Diskussion über die Abschaffung der Abschlussprovision gestartet. Auch damit soll wohl weniger den Kunden Gutes getan als Pfründe gesichert werden. Vor allem schadet man damit gerade jungen Berufseinsteiger:innen, die nicht von einer schon aufgebauten Bestandsprovision leben können und damit in die Abhängigkeit von Provisionsvorschusszahlungen von dem einen oder anderen Strukturvertrieb getrieben werden.
Die Angst vor sozialer Spaltung bei Einführung von Provisionsverboten wird immer wieder genannt. Richtet sich die Honorarberatung nur an vergleichsweise vermögende Kunden?
Mit Blick auf die Erfahrungen im Ausland, insbesondere Großbritannien: Ja. Andererseits gibt es auch bei uns Beispiele dafür, dass auch in weniger zahlungsfähigen Kundenkreisen die Bereitschaft dafür geweckt werden kann, Honorar für eine entsprechend hochwertige Leistung bei Beratung und Vermittlung zu zahlen. Das bedarf aber in erster Linie ein erhebliches Umdenken bei den Makler:innen selbst, um dann die Kund:innen von der Sinnhaftigkeit gut überzeugen zu können.
Ein Gegenargument der Honorarberatung ist häufig, dass sie sich nur wohlhabende Personen leisten können und Personengruppen mit geringem Einkommen keinen Zugang zu dieser Dienstleistung haben.
Die Lösung kann eigentlich nur darin bestehen, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass es zu einem harmonischen Neben- oder Miteinander verschiedener Vergütungsmodelle kommt. Diese ziemlich dogmatisch aufgeladene Diskussion und Schwarz-Weiß-Zeichnung bei dem Thema Honorar versus Provision ist doch völlig kontraproduktiv.
Nutzt diese Personengruppe mit geringem Einkommen aktuell überhaupt das Angebot der klassischen Vermittler und Berater?
Die Antwort ist ein klares Ja! Natürlich bekommen auch Kund:innen mit geringem Einkommen die Möglichkeit der Beratung und Vermittlung und sie nutzen es auch. Gegenteiliges habe ich aus Deutschland noch nie gehört. Das ist klassische Mischkalkulation und gerade in kleineren Orten kann es sich eine Vermittlerin oderr ein Vermittler doch gar nicht leisten, den einen Kunden zu betreuen und die andere Kundin nicht, nur weil sie ein geringeres Einkommen hat. Das ist doch auch eine Frage der Außenwirkung.
Inwiefern könnte die unternehmerische Freiheit und Verantwortung jedes einzelnen Vermittlers auch dazu führen, dass es Beratungskonzepte gegen Honorar für Personengruppen mit geringem Einkommen gibt?
Ich denke, dass das betriebswirtschaftlich keinen Sinn ergeben würde, lasse mich aber gern eines Besseren belehren. In anderen Worten: Wenn Vermittler:innen einen Weg finden sollten, auch die Honorarberatung und -vermittlung für einkommensschwache Kund:innen betriebswirtschaftlich sinnvoll zu gestalten, wäre das prima und ich wäre der erste Gratulant.
„Ist meine Arbeit Geld wert?“
Mal ganz provokant gefragt: Enthält in deinen Augen die Aussage, dass wir in der Branche nicht den „Arsch in der Hose“ haben, den Kunden klar zu sagen, was wir kosten und was unsere Dienstleistung wert ist, einen wahren Kern?
Ich halte es für gut und richtig, den Kund:innen klar zu kommunizieren, was die zu erbringende bzw. die erbrachte Leistung kostet. Das hat doch auch was mit dem eigenen Selbstverständnis zu tun. Ist meine Arbeit Geld wert? Die Antwort muss doch ein klares Ja sein. Wenn das für mich selbst klar ist, kann ich es auch überzeugend transportieren.
Der Megatrend Nachhaltigkeit ist nun auch in unserer Branche angekommen. Welche Synergien siehst du zwischen den Themen Nachhaltigkeit in allen Dimensionen (ESG) und der professionellen Honorarberatung?
Eine sehr gute Frage. Ich habe mir darüber tatsächlich noch keine Gedanken gemacht. Ich glaube aber, dass gerade die Honorarvermittlung hier noch mehr als die klassische Provisionsberatung in den Kinderschuhen steckt. Die Produktgeber konzentrieren sich aktuell intensiv auf klassische Courtageprodukte und die Nettoprodukte folgen dann sicherlich erst sukzessive.
„Es bräuchte meinetwegen sogar eine Pflicht, zu jedem ‚Brutto‘-Produkt auch ein Nettoprodukt bereitzustellen“
Liefert das sogenannte Mischmodell in der Honorarberatung, bei dem der Kunde bzw. die Kundin aussuchen kann, welche Vergütung er oder sie bei einem bestimmten Thema haben möchte, am Ende des Tages weder den Maklern noch den Verbrauchern nachhaltig einen Mehrwert?
Richtig umgesetzt und transportiert sehe ich gerade darin die Zukunft.
Was muss den Maklern bereitgestellt werden, um nicht nur von der Honorarberatung zu träumen, sondern sie zu leben?
Eine Klarstellung in der Gewerbeordnung wird gebraucht sowie ein Verschmelzen der zwei Berufsbilder Versicherungsmakler:in und Versicherungsberater:in. Der Unterschied ist aktuell nur noch extrem gering und eigentlich nur theoretisch vorhanden. Makler:innen dürfen gegenüber Geschäftskunden reine Versicherungsberatung erbringen. Versicherungsberater wiederum dürfen seit der IDD-Umsetzung auch vermitteln, sogar Bruttotarife. Wenn ich Honorarberatung und Honorarvermittlung betrachte, sage ich: Es bräuchte viel mehr Nettoprodukte. Vergleichbare, transparente Nettoprodukte, meinetwegen sogar eine Pflicht in Richtung der Produktgeber, zu jedem „Brutto“-Produkt auch ein Nettoprodukt bereitzustellen.
„Haben wir schon immer so gemacht‘, habe ich schon so oft gehört, es kommt mir aus den Ohren raus“
Mal ehrlich: Kommt es, wenn es um die Zufriedenheit von Verbraucherinnen und Verbraucher geht, wirklich auf die Vergütung an? Worauf achtest du als Kunde von Dienstleistungen?
Ich selbst? Ich möchte, dass mir Schmerz genommen wird. Ich will für mich und meine Familie die Gewissheit haben, gut abgesichert zu sein und mir ansonsten im Privatbereich keine weiteren Gedanken über Versicherungen machen müssen. Dafür bin ich auch bereit zu bezahlen. Das ist wie Unterstützung oder Vorsorge beim Steuerberater, Zahnarzt oder Anwalt abzurufen.
Jede Generation hat eine andere Erwartung an das Leben und an Konsum. Geht die Versicherungsbranche in deinen Augen an dieser Stelle mit und verändert sich spürbar oder siehst du Handlungsbedarf?
Unsere Branche ist – ganz pauschal betrachtet – extrem konservativ. „Haben wir schon immer so gemacht“, habe ich schon so oft gehört, es kommt mir aus den Ohren raus. Natürlich muss sich was ändern. Mehr weiblich, mehr jung, mehr digital, mehr mit- statt gegeneinander. Wenn da nicht auch von „oben“ endlich mehr kommt, wird die Branche noch unattraktiver für den Nachwuchs, als sie es jetzt schon ist.
„Es muss im eigenen Kopf ‚Klick‘ machen“
Wie gelingt Vermittlern und Beratern die Umstellung auf Honorarberatung? Welchen Weg würdest du empfehlen?
Zuerst muss es natürlich im eigenen Kopf „Klick“ machen. Man sollte sich wirklich seiner eigenen Leistung bewusst sein. Außerdem muss die Scheu überwunden werden, mit den Kunden über Vergütung zu reden. Klingt einfach, ist es aber nicht. Neudeutsch sagt man ja dazu: Mindset. Erst wer selbst vollkommene Klarheit über den Paradigmenwechsel gewonnen hat, kann das auch seinen Kunden transportieren. Es hilft mit Sicherheit, sich hierzu zu belesen, aber vor allem ist es wichtig, sich mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen, die mit der Honorarberatung schon erfolgreich unterwegs sind.
Wann müsste man einem Makler von einer Umstellung eher abraten?
Mir fällt kein Grund ein, weswegen man jemandem davon abraten sollte.